Dreisatz

Szene

Tock.

„Hat es an der Tür geklopft? Ist er es? Himmel, ich höre schon Gespenster! Ein Ast, es ist nur ein Ast, der im Wind gegen das Fenster schlägt. Du musst dich beruhigen.“

Meister Leonhard redet sich selbst gut zu, denn in der Hütte des betagten Alchemisten ist außer ihm niemand. Für die Leute ist er nur der ‚Krumme Leo‘, der kauzige Schwarzkünstler aus den Bergen. Aber er liebt sein Leben als Eremit. Umgeben von gestapeltem und gerolltem Wissen, Mörsern, Phiolen, Flacons, Glaskolben, Töpfen unterschiedlichster Größe, von Flaschen und Krügen, die Etiketten mit lateinischen Namen um ihre Hälse tragen und Weidenkörben voller welker Gärten. Über der offenen Feuerstelle hängen stieloben Bündelchen und Sträußchen, denen der Pflanzensaft zu Kopf steigt, während sie sich ihrer Aromen entledigen.

Tock. Tock. 

Kein Ast im Wind! Eher eine hölzerne Forderung, willentlich und vehement mit einer harten Faust ausgedrückt. Meister Leonhard krümmt sich bei jedem Klopfen wie unter Schmerzen und krabbelt Schutz suchend unter seinen Arbeitstisch, verschanzt sich hinter dicken Pergamentbündeln.

„Er wird mich entdecken, und wenn er mich findet, bin ich des Todes“, murmelt er. Ein Schauer überläuft ihn, kalt wie der Gebirgsbach oben am Gletscher, wenn die ersten Sonnenstrahlen des Martius am Eis lecken. Für mich wird es keinen neuen Lenz mehr geben. Hätte er nur nicht diesen satanischen Auftrag entgegengenommen! Doch es ist zu spät, er hat versagt und muss die Konsequenz tragen.

Ein einfaches Pulver oder einen Trank sollte er herstellen, etwas, dass die Angst und die Hoffnungslosigkeit beim Volk und im Heer unterdrückt, wenn die Soldaten wieder in den Krieg geschickt werden. Sein Lohn wären weitere geschenkte Jahre im Dienste seiner Wissenschaft. Von da an durchsuchte er Tag und Nacht die stockfleckigen Aufzeichnungen, die Druidenweisheiten und das Alchemistenwissen von Jahrhunderten. Johanniskraut von einem Kind in einer Vollmondnacht geschnitten, nicht gepflückt, so fand er endlich heraus, böte eine gute Basis für die gesuchte Droge. Einen Vollmond später hatte er es fast geschafft. Sein unheimlicher Auftraggeber drängte zur Eile. Längst war nicht mehr eine Gegenleistung in Aussicht gestellt, sondern von Bestrafung die Rede, sollte er nicht liefern können. Den Hals würde man ihm wie bei einem Huhn umdrehen. Er konnte nicht mehr klar denken, denn die Angst saß in seinem Nacken und ritt ihn fast zu Tode.

Höchste Zeit für einen Selbstversuch hatte Meister Leonhard am gestrigen Abend beschlossen. Ohne Angst würde er dann zu alter Höchstform auflaufen können, dessen war er sich sicher. Zum Abendbrot gönnte er sich einen Becher Bier und gab eine gute Messerspitze des rosafarbenen Pulvers dazu. Die Dosierung war noch ein großes Fragezeichen, das wusste er. Als sich die Substanz aufgelöst hatte, setzte er den Becher an die Lippen und leerte ihn in einem Zug.

Tock. Tock. T-O-C-K!

Das letzte Klopfen geht im ohrenbetäubenden Splittern der Holztür unter. Es hagelt Staub und fertiges Feuerholz. Im Gegenlicht des Türrahmens steht eine finstere Gestalt. Schwarzer Reiseumhang mit hochgeschlagener Kapuze, die einen Schatten auf das Gesicht darunter wirft, ein Lederstiefel und ein Huf, die jetzt über den Lehmboden stampfen. 

„Na, mein Freund, wo hast du dich verkrochen, hm?“ Eine Stimme wie eine Gerölllawine.

Meister Leonhard zieht so leise er kann die Beine unter seinen verwandelten Körper und macht sich klein wie eine Kugel. Warum in drei Teufels Namen hat er immer noch diese Todesangst? Weil die Droge versagt! Er musste einen verhängnisvollen Fehler bei der Rezeptur oder der Dosis begangen haben! Oder beides. Sein neuer Körper gehorcht ihm nicht mehr und beginnt zu beben. Dabei machen seine Bauchplatten seltsame Geräusche. Ob ich einen überraschenden Ausfall wage und mein Heil in der Flucht suche, überlegt er. Besser nicht, ich bin wie von Sinnen vor Furcht! Vorsichtig späht er aus der Tiefe seines Verstecks hervor, als sein Körper erneut eigenmächtig zu schlottern beginnt. Das dabei entstehende Geräusch ist über alle Zeiten hinweg zu hören.

Der Teufel schlägt seine Kapuze zurück, wobei er seine Hörner entblößt. Mit nur drei Sätzen durchmisst er den Raum, bückt sich und schaut unter den Tisch. Als er Meister Leonhards zitternde Fühler entdeckt, bricht er in widerwärtiges Gelächter aus, schnappt ihn blitzschnell und zerquetscht die Zikade in seiner Faust.


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Verfremdetes Titelfoto von Werner Weisser auf Pixapay – vielen Dank!