Vita

Mit der Liebe zu Büchern wurde ich Mitte der Fünfziger des vorigen Jahrhunderts schon geboren, denn da meine Mutter ebenfalls bibliophil war, muss diese Leidenschaft einfach genetischer Natur sein! Es handelt sich jedoch keineswegs um einen Defekt, sondern um eine Bereicherung, mit der man wirklich ausgezeichnet leben kann und wegen der Literaturfülle auch lange leben möchte!  

Mein erster Atemzug war gesättigt von den Aromen der Seen, des warmen Sands und der Nadelwälder der Mark Brandenburg, deren volle Schönheit ich in ihrer Gänze erst Jahrzehnte später bewusst erleben durfte. Zwischen beiden Ereignissen lag die DDR. 

Bevor ich wirklich selber las, was immer ich in meine Finger bekam, gaukelte ich geneigter Verwandtschaft schon als Fünfjährige Lesefähigkeit vor, indem ich Die Häschenschule und Hänschen im Blaubeerwald – durch häufiges Vorlesen auswendig gelernt – vortrug und dabei, dramatisch inszeniert, an den richtigen Stellen das Umblättern nicht vergaß. Später verzehrte und genoss ich jeden Satz aus Geschenktem, Geliehenem und zu pädagogischen Versuchszwecken von meiner äußerst engagierten Grundschullehrerin, unter deren Lupe ich geriet, Überreichtem. Ich lernte die Kinderliteratur von Kästner, Lindgren und Preussler genauso lieben wie die damals beliebten Klassiker. Inzwischen atmete ich die gleiche Kasseler Luft wie Dorothea Viehmann und die ältesten Brüder Grimm, Jacob und Wilhelm, über die wir Schulkinder natürlich alles erfuhren. Allerdings präferierte ich die Märchen von Hauff und Andersen und eine Sammlung russischer Märchen, die mir eine intensivere Stimmung vermittelten konnten. Meine Schulaufsätze zeichneten sich in dieser Zeit noch durch alterstypisch überbordende Fantasie aus, weswegen ich recht häufig den Rektor besuchen musste, und selbst zu Hause wies mein Vater meinen Redeschwall oft mit der Aufforderung: „Erzählen sie weiter, Frau Grimm!“ in seine Schranken.

Die Pubertät und meine ‚Karriere‘ an umzugsbedingt neuen Schulen, machten aus mir mehr und mehr ein Introver-Tier, aber immer fand ich Zuflucht in meiner vertrauten Bücherwelt. Reale Schwächen waren in den fiktiven Abenteuergeschichten Enid Blytons oder denen von Dumas, Stevenson, London, Twain oder Dickens oder in den erlebten Abenteuer-Berichten von Entdeckern wie Amundsen, Nansen oder Hedin vollkommen ohne Bedeutung. Meine späterhin eher qualvolle Schulzeit endete mit dem Abi, das ich unbedingt benötigte, wollte ich meinen Traum vom Studium des Grafik Designs verwirklichen. Seit meinem fünften Lebensjahr sah ich mich gerne mit einer Wenn-ich-mal-groß-bin-Tätigkeit entweder als Zeichnerin in den Disney-Studios oder in einem Werbeatelier (mein kindlicher Wunsch war noch auf Print-Medien bezogen, denn TV hatten wir erst sehr viel später). 

Doch gerade Wege sind ebenso selten wie hilfreicher Rückenwind und nach etlichen Fehlversuchen und einem einjährigen Praktikum in einem Atelier für Werbefotografie, aus dem ich außer sehr nützlichen Grundkenntnissen auch meinen Ehemann mitbrachte, hielt ich ein Studium durch und wurde Industrie-Designerin. Meine Kreativität hatte ein Betätigungsfeld gefunden, auf dem ich mich eine Weile austobte. Das Lesen vergaß ich dabei nie! Zum Ausgleich zur schweren oder langweiligen Schulpflichtlektüre und späteren Fachbuch-Kost, entdeckte ich mein Lieblingsgenre: Thriller und Krimis – das hält ungebrochen bis heute an! Als ich schließlich Mutter wurde, arbeitete ich als Freelancerin für ein Werbeatelier und baute u.a. Modelle und fertigte Airbrush-Illustrationen für einen Medizinbedarf-Hersteller an, wandte mein Augenmerk jedoch einem neuen Interessengebiet zu, das letztlich in einer selbstständigen Tätigkeit mündete. Ich entwarf Lehrmaterial für Kinder mit Dyskalkulie (Rechenschwäche), ließ es teilproduzieren und vertrieb es zusammen mit ausgewählter Fach-Literatur, anderen Spiel-, Lehr- und Lernmaterialien für Kinder mit besonderem Förderbedarf zunächst im Versandhandel und dann zusätzlich mit einem kleinen Ladengeschäft. Neben dem Gewinn intensiv erlebter Schaffensfreude, belegte ich mit meiner Idee sogar den zweiten Platz beim ‚Nordhessischen Innovationspreis‘. Eine erfüllende Aufgabe und ein befriedigender Daseinsabschnitt! 

Abermals blies mir der böige Wind des Lebens kraftvoll um die Nase, raubte mir zuweilen den Atem, hauchte mir neuen ein und wirbelte mich wie ein Herbstblatt in veränderte Situationen. – Inzwischen bin ich im Unruhestand, habe drei verschiedene Brillen in Langwelle, KW und UKW, die Knochen Pinocchios, die Fantasie des Barons von Münchhausen und lebe in einer Kleinstadt an der ‚Dornröschen-Route‘ der Deutschen Märchenstraße, die in vielerlei Hinsicht Gemeinsamkeiten mit dem fiktiven Schilda aufweist, wo ich mir, nur gestört vom täglichen Pflichtprogramm, Geschichten ausdenke, schreibe, zeichne, fotografiere oder lese.

Das Schreiben begleitete mich durch viele Lebensetappen. Fehlt das gesprochene Wort, kann das geschriebene die Welt bedeuten. Im Grundschulalter begann ich, wie viele Altersgenossen, mit scheußlicher Lyrik, die ich heute vielleicht ’niedlich‘ fände, hätte ich sie nicht im Studentenalter schamvoll entsorgt. Gerne würde ich jetzt sagen, wie groß der spätere schulische Einfluss auf mein Fabulieren war, doch leider war der Effekt gänzlich gegenteiliger Natur. Ich hasste Aufsätze, ihre Beschränkungen in Thema, Form, Stil, Umfang samt ausschließlichem Fokus auf Rechtschreibung und Interpunktion (bis heute meine Achillesferse) und das Sezieren und Bloßlegen jedes Fehlers im Klassenforum. Ich verstummte. Erst lange nach meiner Schulzeit fand ich wieder Worte und Widerworte, schrieb persönliche, kathartische Texte, bissige Leserbriefe, Produktkritiken, Sachtexte für Kataloge, ein kleines Kasperle-Theaterstück für den Kindergarten, kleine Geschichten für Kinder und ein erstes Kinderbuch, das ich ziemlich naiv und blauäugig beim großen ‚A‘ selbstverlegte, und zahlreiche Rezensionen für einen Bücherblog, den ich jedoch aus Zeitgründen aufgeben musste. Außerdem habe ich inzwischen die andere Seite der Feder lieben gelernt.

Aus dieser Feder fließt die herzblutrote Tinte des Lebens und die dunkle eines fabulierenden Tintlings auf ein unbeschriebenes Blatt. Dann bin ich kreativ:

In Wort und Bild.