Schau dich an, Welt!

Mental Health Day mit politischer Dimension.

Am vergangenen Wochenende brütete ich über einem fordernd weißen Blatt Papier, um es mit Ideen zu meinem Plot für eine Halloween-Kurzgeschichte zu schwärzen. Doch stattdessen verdunkelten sich die Gedanken und büxten ständig aus. Sie suchten Erklärungen, wo es keine gab und Hoffnung, wo keine wachsen kann. Die anhaltenden Kriegsgräuel in der Ukraine und nun das unvorstellbare Massaker an Zivilisten, begangen von Terroristen der Hamas und der Hisbollah in Israel drängten jede Alltagstätigkeit in den Hintergrund, ließen alles belanglos, irrwitzig oder banal erscheinen angesichts der Unaussprechlichkeiten, die überall dort zu finden sind, wo das, was unsere Spezies ausmachen sollte, in den Dreck getreten wird und unter Trümmern abscheulicher Taten begraben wird: die Menschlichkeit.

So wie glückliche Menschen vieles verklärt und idealisiert durch die bekannte rosarote Brille sehen, so funktioniert die Psychologie natürlich auch im Negativen. Sind wir im depressiven Modus, bemerken wir auch nur die finsteren Ereignisse im Lichtkegel unserer Wahrnehmungstaschenlampe. Das weiß ich genauso, wie ich weiß, dass niemand auf Dauer im Trauerzustand leben kann und darf, will er nicht die eigene psychische Gesundheit aufs Spiel setzen. Bei soviel Elend und Schmerz auf der Welt, könnte man locker Wochen, Monate – was sag ich, Jahre! – verheulen.

Auch hatte ich mir fest vorgenommen, mich niemals zu politischen Statements auf meiner Website hinreißen zu lassen. Nicht, weil ich keine Meinung habe, sondern weil ich sie in Hate-or-Hype-Medien nicht öffentlich teilen will. Um sich über Stammtischparolen hinaus zu äußern, fehlen mir zudem für viele Themen fundierte Kenntnisse geschichtlicher, sozialer oder politischer Hintergründe oder Verknüpfungen. Doch der Wahlsonntag gab mir, auch wenn das Ergebnis zu befürchten war, sozusagen den Rest! Der ‚rechte Stachel‘ stach mich tief und äußerst schmerzhaft!

Heißt es nicht „Geteiltes Leid ist halbes Leid“? So habe ich meinen Vorsatz ausnahmsweise ausgesetzt und teile hier meine finsteren Gedanken in diesen als rau empfundenen Tagen. Corona, das weltweite Säbelrasseln und die Hybris etlicher Diktatoren, die Inflation, steigende Preise und Zinsen, die Unfähigkeit und Uneinsichtigkeit der Menschheit bezüglich des Erdklimas, der Ressourcen, der Überbevölkerung und nicht zuletzt die eigenen Sorgen und Nöte haben mich in meinen letzten Lebensjahrzehnten zermürbt.

Schau dich doch an, Welt! Seit es unsere Spezies gibt, setzen wir alles daran, uns kunstvoll zu hassen und zu vernichten. Gier, Macht, Egoismus, Eitelkeit, Unterhaltung und Besitz sind die wahren Götter, die wir anbeten und nach denen wir süchtig sind. Hat Indien nicht existenziellere Probleme als eine Mondlandung? Ergibt es Sinn, wenn sich die Generation der Klimaaktivisten auf die Straße kleben, aber jedes noch so triviale Alltagsgeschehen mit riesigen Bilddatenmengen in der Cloud, auf Servern lagern und dabei Unmengen Energie verbrauchen? Sicher, das sind nur polarisierende Mikro-Beispiele für unsere Fähigkeit, Krisen nicht zu lösen, sondern nur umzutaufen. Die Kernprobleme bleiben und werden – täglich grüßt das Murmeltier – wiedergekäut, denn Verzicht und Kompromiss tun uns zu weh, um als Lösung in Betracht gezogen zu werden. Die Bevölkerung wächst und wir werden sie bald nicht mehr ernähren können. Die Müllberge lassen wir bei Nacht und Nebel in den Meeren verschwinden, wo sie unschuldige Kreaturen ausrotten. Wir benehmen uns wie marodierende Messie-Mieter, die Chaos und Zerstörung hinterlassen, aber zu blöd sind, um zu erkennen, dass wir keine nächste ‚Wohnung‘ mehr haben. Es scheint in uns einen fest verbauten Tunnelblick zu geben, der nur das aktuelle Geschehen, die aktuelle Krise erfasst, aber unfähig zur Vorausschau und Prävention ist. Kein Wohnraum-, Fachkräfte-, Lehrer- oder Pflegekräftemangel entsteht urplötzlich aus dem Nichts, weshalb er im Moment des Bemerkens auch nicht umgehend behoben werden kann. Übel dieser Art richten sich nicht nach Legislaturperioden oder Parteigerangel. Der Staffelstab wird nur durchgereicht.

Schau dich an, Welt! In Deutschland verbiegen und verrenken wir unsere Sprache, um vorgeblich Toleranz zu demonstrieren und uns gegen Rassismus zu positionieren, der jedoch in unseren Köpfen unausrottbar munter weiter wütet. Glaubens- und Territorialkriege wechseln nur die Schauplätze. Das derzeitige Szenario auf der politischen Weltkarte könnte durchaus das vor einem dritten Weltkrieg sein! Unser Gehirn weiß es längst, aber wo kein Wille zum Konsens, keine Empathie existiert, keine Menschlichkeit, kann auch der Mensch selbst letztlich nicht existieren. (Auch die Okkupation eines noch zu findenden Planeten wird uns daher nicht retten, außer wir vergessen, uns selbst mitzunehmen. 🙃)

Gestern habe ich mir eine kleine Auszeit gegönnt, mich meiner trüben Stimmung ganz bewusst für eine kurze Zeitspanne hingegeben und in den Fotoalben eines vergangenen halben Jahrhunderts geblättert. Ich schaute auf meine Welt. Vor 50 Jahren machte ich das Abitur und meinen Führerschein. Vor 50 Jahren gab es die ‚Ölkrise‘ mit all den hitzigen Debatten um die rapide schwindenden Ressourcen der Erde. Ich ging, bepackt mit Frischhaltedosen, Glasflaschen und Jutebeuteln lose angebotene Waren einkaufen. Überflüssige Verpackungen waren ‚böse‘ – man ließ sie demonstrativ im Geschäft zurück. – Vor 50 Jahren nahm ich an Lichterketten gegen Antisemitismus teil. Vor 50 Jahren, vom 6. bis zum 25. Oktober 1973, wurde der Jom-Kippur-Krieg in Israel geführt. Kurz zuvor, im Sommer 1972 und 1973 durfte ich zweimal die wundervolle Erfahrung einer Gruppenreise für Jugendliche ins ‚Gelobte Land‘ machen, die mich beide stark und dauerhaft beeindruckt haben. Hier ein kleiner Erinnerungssplitter: Mein Baum der Erkenntnis trägt Birnen.

Dieses Land trage ich seither auf eine unerklärliche, auf eine liebevolle Weise tief in mir. Deshalb fühle ich mich auch in diesen Tagen innig verbunden mit den Israelis und bin unbeschreiblich traurig über dieses neuerliche Zeugnis dafür, zu welchen abartigen Grausamkeiten Menschen begangen an ihren Mitmenschen fähig sind. Ich verachte die Mordlust und Brutalität dieser Terrorangriffe genauso wie die ekelerregenden, weltweiten Sympathiekundgebungen für diese Kriminellen. Es gibt kein einziges Argument zur Rechtfertigung dieser jüngsten Verbrechen, und jeder der hierzulande für Hamas- und Hisbollah-Terror öffentlich applaudiert, macht sich strafbar.

Schalom! 🇮🇱 שלום


Titelfoto von WikiImages auf Pixabay. Vielen Dank dafür, denn so blieb mir selbst der Schuss auf den Mond erspart! 😉

Happy Birthday, mein Hase!

Das erste Jahr.

Vergangenen Sonntag – wie´ s der Zufall will, auch Muttertag – feierte mein Memoir-Angsthase sein erstes Wiegenfest. Menschenkinder stehen in diesem Alter schon auf ihren Beinchen, beherrschen die Küstenschifffahrt (das Herumlaufen mit Hand-Möbel-Kontakt) oder sie sind sogar schon aus dem Hafen ausgelaufen, um, immer noch in Hafennähe, freie Gewässer zu erobern.

Mein Buch ist längst nicht so weit. Und das liegt keineswegs am Kind, sondern an mir, der ängstlichen Mutter, die dem Kind zu wenig zutraut und sich selbst noch viel weniger. Ich habe die Mühen unterschätzt, dass Mütter und Väter, die ohne Verlagsbetreuung ihre Kinder großziehen müssen, ständig auf Elternabende eilen und permanent mit anderen Eltern eng vernetzt sein müssen, um uns über unsere lieben Kleinen auszutauschen und sie so zu fördern. 

Es ist faszinierend, wie ähnlich dann das Vergleichen der Buchkinder geschieht – ganz so, wie auf den Spielplätzen und Elterntreffen unserer zweibeinigen, wirklichen Kinder. Es wird geprahlt, gemessen, abgewogen, getröstet, gepriesen, gepfiffen und getrommelt! Bedauerlicherweise ist das nicht meine Kernkompetenz und ich lobe mich schon, hier den Geburtstag kund zu tun! Ähnlich verhält es sich mit der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung. Ein in vielfältiger Weise auffälliges Kind wird in der Masse eher wahrgenommen als ein schüchternes.

Das erste Menschenjahr ist eines der großen Entwicklungssprünge, aber dennoch liegen ebenso wichtige Etappen noch vor dem Kind. Hingegen ist für Buchkinder das allerwichtigste Jahr, das erste Jahr nach dem Erscheinen, nun vorüber! Es setzt allmählich die Zeit des Vergessens ein. Eine schmerzliche Erkenntnis nach der langen, beschwerlichen Schwangerschaft. Aber vielleicht sind bald die nächsten Kinder unterwegs und wir Eltern haben von den Erfahrungen mit den älteren Geschwister gelernt?

Ein Buch ist erst dann vergessen, wenn es nicht mehr gelesen wird!


Beitragsfoto-Collage: Hase von Lutz Peter, Kerze von rmadison auf Pixabay – vielen Dank!

Mein ‚Mai-Light‘

Angst. Der Blick verengt sich zum Tunnel, das Herz rast, stolpert, fällt hin und kalter Schweiß bricht aus allen Poren. Im Kopf und im Magen breitet sich ein flaues Gefühl aus, die Atemluft wird knapp und die Kniescheiben zittern im Rhythmus jagender Angst. 

Solange wir die Kontrolle über den unterhaltsamen Adrenalin-Kick haben, suchen wir ihn. Wie lieben Horror-Filme, lesen Thriller, fahren Achter- oder Geisterbahn oder suchen sogar die tödliche Herausforderung, den Kick im Abenteuer. Doch wehe, die Angst dreht den Spieß um und treibt ihr perfides Spiel mit uns. Die hundertfach verstärkt erlebten Symptome der Panik reißen uns den Boden unter den Füßen weg! …

Während sich das Gros der Angstsachbücher und Publikationen thematisch dem Kampf, der Selbsthilfe oder den Therapien widmet, habe ich erfahren, wie individuelle eine Angsterkrankung, sowohl in ihrer Entstehung, als auch in ihren Auswirkungen ist, und wie wichtig Eigeninitiative und Motivation für eine Zustandsverbesserung sind.

Wir haben die Erwartungshaltung entwickelt, einfache Lösungen für jedes Problem zu erhalten und verzweifeln, wenn Erfolgsversprechen nicht funktionieren oder Therapien versagen. Zuspruch, Verständnis und Unterstützung finden wir oft nur im Austausch mit ähnlich Betroffenen. Ich habe mich stellvertretend für einige auf die autobiografische Reise, eine narrative Spurensuche nach meiner Angst begeben und erzähle, zu welchen, teils unbequemen, Erkenntnissen sie mich führte, wie sich mich modelliert hat und wie ich ihr Spiel mit mir empfindlich stören konnte.

Das entstandene Memoir ist neben dem Wunsch nach breiterem Verständnis und Enttabuisierung psychisch Erkrankter zugleich eine Liebeserklärung an die oft gönnerhaft belächelte Durchschnittlichkeit, das, durch eine Gesellschaft, die sich zunehmend über Geld und Geltung definiert, verpönte Mittelmaß.

39 ausgewählte Bilder aus meinem Ex-Instagram-Portfolio sind Bestandteil meines ‚Reiseberichts‘. Nach wie vor bin ich voller Ängste, aber Mensch genug, Sehnsucht nach erfreulichen, schönen Impressionen zu verspüren, die ich zur, hoffentlich ansteckenden, Inspiration teile, auch um zu widerlegen, dass Bildbände ausschließlich Höher-weiter-teurer-schöner-Zeugnisse ablegen müssen.

Mehr Infos zum Buch unter Vom Hasen, der auszieht, die Angst zu verlernen.